Episodios

  • Folge 78 - Queere Lyrik - August von Platen
    Jun 26 2024

    Diese Folge ist dem Pride Month entsprechend queerer Lyrik gewidmet und zeichnet anhand ausgewählter Sonette August von Platens einige typische homoerotische Denk- und Gefühlsmuster nach.


    August von Platen: Die Sonette - Männerschwarm-Verlag

    https://www.maennerschwarm.de/buch/die-sonette/



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    32 m
  • Folge 77 - Die Kühe sind schuld (Odile Kennel)
    Apr 17 2024
    In dieser Folge geht es um ein Gedicht, das die Mechanismen im Umgang mit der Klimakrise offenlegt. Außerdem wird ein neuer methodischer Zugang zu Lyrik vorgestellt. Die Kühe sind schuld Die Kühe sind schuld am Schlamm am Schlamassel am maßlosen Regen, hinterlassen Paarhuferspuren im All im allgegenwärtigen Klima, killen den Himmel, die wahren Sünder, heißt es, seien die Kühe. Doch die wissen von nichts. Verlangen nicht viel: Wollen nur grasen, weiche Nasen ins Grün drücken, das ihnen blüht, in Ruhe muhen, Ruhe vor Fliegen, in Ruhe auf Wappen posiern, Almen bevölkern und tiefere Wiesen als Schlumpen mit Artgenossinnen schunkeln, Färse sein, Milchkuh ja, auch mal heilig, aber vor allem: äsen, mahlen, vier Mägen hegen, rülpsen und schließlich acht bis zehn Fladen am Tag fabriziern. Doch heißt es: Der Bock ist die Kuh, die Mist baut, wenn sie verdaut, sie ist wahnsinnig schädlich fürs Atmosphärische auf der Methanebene gänzlich passé. Und sind die Kühe nicht auch schuld an der Krise? Wir dekretieren das elfte Gebot: Die Abschaffung der Kühe tut Not.
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    24 m
  • Folge 76 - Weihnachten (Rilke, Storm, Loriot)
    Dec 22 2023

    Weihnachten ist die Zeit der Besinnung, die Zeit der Kinder, auch eine melancholische Zeit und nicht zuletzt eine Zeit der absurden Rituale und nervenaufreibenden Familienfeiern. Anhand von drei Gedichten sollen Schlaglichter auf diese Zeit geworfen werden, wenngleich es sich nicht um die ganz typischen Weihnachtsgedichte 'unterm Tannenbaum' handelt.


    Rainer Maria Rilke

    Das Karussell
    Jardin du Luxembourg
    Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
    sich eine kleine Weile der Bestand
    von bunten Pferden, alle aus dem Land,
    das lange zögert, eh es untergeht.
    Zwar manche sind an Wagen angespannt,
    doch alle haben Mut in ihren Mienen;
    ein böser roter Löwe geht mit ihnen
    und dann und wann ein weißer Elefant.
    Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
    nur dass er einen Sattel trägt und drüber
    ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
    Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
    und hält sich mit der kleinen heißen Hand
    dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
    Und dann und wann ein weißer Elefant.
    Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
    auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
    fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
    schauen sie auf, irgendwohin, herüber –.
    Und dann und wann ein weißer Elefant.
    Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
    und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
    Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
    ein kleines kaum begonnenes Profil –.
    Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
    ein seliges, das blendet und verschwendet
    an dieses atemlose blinde Spiel ...


    Theodor Storm

    Weihnachtslied

    Vom Himmel bis in die tiefsten Klüfte
    ein milder Stern herniederlacht;
    vom Tannenwalde steigen Düfte
    und kerzenhelle wird die Nacht.


    Mir ist das Herz so froh erschrocken,

    das ist die liebe Weihnachtszeit!

    Ich höre fern her Kirchenglocken

    mich lieblich heimatlich verlocken

    in märchenstille Herrlichkeit.

    Ein frommer Zauber hält mich wieder,

    anbetend, staunend muß ich stehn;

    es sinkt auf meine Augenlider

    ein goldner Kindertraum hernieder, ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.



    Loriot

    Advent


    Es blaut die Nacht. Die Sternlein blinken.

    Schneeflöcklein leis’ niedersinken.

    Auf Edeltännleins grünem Wipfel

    häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.

    Und dort, vom Fenster her durchbricht

    den dunklen Tann' ein warmes Licht.

    Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer

    die Försterin im Herrenzimmer.

    In dieser wunderschönen Nacht

    hat sie den Förster umgebracht.

    Er war ihr bei des Heimes Pflege

    seit langer Zeit schon sehr im Wege.

    So kam sie mit sich überein:

    Am Niklasabend soll es sein.

    Und als das Rehlein ging zur Ruh',

    das Häslein tat die Augen zu,

    erlegte sie - direkt von vor'n

    - den Gatten über Kimm' und Korn.

    Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase

    zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase.

    Und ruhet weiter süß im Dunkeln,

    Derweil die Sternlein traulich funkeln.

    Und in der guten Stube drinnen,

    da läuft des Försters Blut von hinnen.

    Nun muß die Försterin sich eilen,

    den Gatten sauber zu zerteilen.

    Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen

    nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.

    Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied

    - was der Gemahl bisher vermied -

    Behält ein Teil Filet zurück,

    als festtägliches Bratenstück.

    Und packt zum Schluss - es geht auf vier -

    die Reste in Geschenkpapier.

    Da dröhnt's von fern wie Silberschellen.

    Im Dorfe hört man Hunde bellen.

    Wer ist's, der in so tiefer Nacht

    im Schnee noch seine Runde macht?

    Knecht Ruprecht kommt mit gold’nem Schlitten

    auf einem Hirsch herangeritten!

    »He, gute Frau, habt ihr noch Sachen,

    die armen Menschen Freude machen?«

    Des Försters Haus ist tief verschneit,

    doch seine Frau steht schon bereit:

    »Die sechs Pakete, heil'ger Mann,

    's ist alles, was ich geben kann!«

    Die Silberschellen klingen leise.

    Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.

    Im Försterhaus die Kerze brennt.

    Ein Sternlein blinkt:

    Es ist Advent.

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    23 m
  • Folge 75 - Krieg dem Kriege (Kurt Tucholsky)
    Dec 8 2023

    In der heutigen Folge soll erneut ein pazifistisches Gedicht im Mittelpunkt stehen. Es ist nicht das erste auf diesem Kanal, was zeigt, wie wichtig mir das Thema ist. Wichtig einerseits und andererseits erschütternd, wie wenig der Mensch dazuzulernen scheint, wie blindwütig er sich anschickt, munter die alten Fehler zu wiederholen und zu wiederholen und zu wiederholen. Das tut aber der Größe dieses Textes, der keinesfalls blind, sondern geradezu hellsichtig zu nennen wäre, keinen Abbruch!



    Krieg dem Kriege

    Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
    Zeit, große Zeit!
    Sie froren und waren verlaust und haben
    daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,

    weit, weit –!


    Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
    Und keiner, der aufzubegehren wagt.
    Monat um Monat, Jahr um Jahr …
    Und wenn mal einer auf Urlaub war,

    sah er zu Haus die dicken Bäuche.

    Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
    der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
    Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
    „Krieg! Krieg!

    Großer Sieg!

    Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“
    Und es starben die andern, die andern, die andern …
    Sie sahen die Kameraden fallen.
    Das war das Schicksal bei fast allen:

    Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.

    Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
    und man trug sie fort und scharrte sie ein.
    Wer wird wohl der nächste sein?
    Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.

    Werden die Menschen es niemals lernen?

    Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
    Wer ist das, der da oben thront,
    von oben bis unten bespickt mit Orden,
    und nur immer befiehlt: Morden! Morden! –

    Blut und zermalmte Knochen und Dreck …

    Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
    Der Kapitän hat den Abschied genommen
    und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
    Ratlos stehen die Feldgrauen da.

    Für wen das alles? Pro patria?


    Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
    Brüder! das darf nicht wieder sein!
    Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
    ist das gleiche Los beschieden

    unsern Söhnen und euern Enkeln.

    Sollen die wieder blutrot besprenkeln
    die Ackergräben, das grüne Gras?
    Brüder! Pfeift den Burschen was!
    Es darf und soll so nicht weitergehn.

    Wir haben alle, alle gesehn,

    wohin ein solcher Wahnsinn führt –
    Das Feuer brannte, das sie geschürt.
    Löscht es aus! Die Imperialisten,
    die da drüben bei jenen nisten,

    schenken uns wieder Nationalisten.

    Und nach abermals zwanzig Jahren
    kommen neue Kanonen gefahren. –
    Das wäre kein Friede.


                                Das wäre Wahn.

    Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.

    Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
    Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
    Will das niemals anders werden?
    Krieg dem Kriege!

                            Und Friede auf Erden.

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    22 m
  • Folge 74 - Dann gibt es nur eins (Wolfgang Borchert)
    Nov 22 2023

    Im strengen Sinne ist der Text natürlich kein Gedicht, auch wenn er sich durch eine ausgeprägte Sprachrhythmik und hohe Bildlichkeit auszeichet. Ich möchte dieses Manifest des Pazifismus aber gerne mit allen Hörer:innen teilen und hoffe, dass der Text bei allen einen so bleibenden Eindruck hinterlässt, wie bei mir. In der Folge bleibt es bei der Rezitation - ohne jeden Kommentar, denn der ist überflüssig!

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    9 m
  • Folge 73 - Wie rezitiere ich ein Gedicht?
    Oct 29 2023

    Am Beispiel von Johannes R. Bechers Gedicht "Ballade von den dreien" erkläre ich, wie man vorgeht, um ein Gedicht vorzutragen.


    Ballade von den dreien


    Der Offizier rief: „Grabt den Juden ein!"
    Der Russe aber sagte trotzig: „Nein!"


    Da stellten sie den in das Grab hinein.
    Der Jude aber blickte trotzig: „Nein!"
    Der Offizier rief: „Grabt die beiden ein!"
    Ein Deutscher trat hervor und sagte: „Nein!"


    Der Offizier rief: „Stellt ihn zu den zwein!
    Grabt ihn mit ein! Das will ein Deutscher sein!"


    Und Deutsche gruben auch den Deutschen ein...



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    31 m
  • Folge 72 - Rainald Grebe II
    Oct 6 2023

    In der zweiten Folge zu Rainald Grebe geht es schwerpunktmäßig um seinen genresprengenden Roman 'Global Fish' von 2006. Hier gibt es keine klare Abgrenzung von Epik, Lyrik oder Dramatik - in den Roman sind immer wieder kleine Gedichte und Lieder, die der Autor auch vertont hat, eingebaut.


    Ein zentraler Reflexionstext des Romans ist das folgende Gedicht:


    An Deck machte ich mir Gedanken

    Führte Selbstgespräche zum Thema: Worum geht es.

    Es geht doch darum, sagte ich laut,

    wenn ich mich unbeobachtet fühlte,

    darum, wirklich was zu erleben.

    Darum geht es.

    Nicht nur oberflächlich, so und so, hier und da,

    sondern wirklich zu erleben,

    was unter die Haut geht wie ein Tattoo.

     

    Ich will mit Frauen aus fünf Kontinenten schlafen,

    alle Drogen ausprobieren, die es gibt,

    dann sehr gesund leben,

    enthaltsam wie ein Heiliger,

    dass ich alt werden kann

    wie Goethe oder Nelson Mandela.

    Lernen, schaffen, hinterlassen,

    Familie, Kinder, Enkel,

    Kunst, Wissenschaft und Leben,

    den ganzen Globus kennen und den Mond.

    Wirklich gebildet will ich werden,

    ein Bild von einem Menschen,

    mein Leben, sagte ich laut,

    wird ein langer Entwicklungsroman

    und auf dem Buchrücken steht:

    Dieser Junge hat sich sehr gut entwickelt.


    Weitere Lieder werden in der Folge angespielt. Ich verweise aber gerne erneut auf den reichen Fundus an weiteren Aufnahmen, die auf Youtube zu finden sind.

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    38 m
  • Folge 71 - Politische Lyrik (Bürger, Gellert, Fontane, Grass)
    Sep 26 2023

    Wie funktionieren politische Texte? Was sind ihre Strategien? Das wird in dieser Folge an 4 Beispielen gezeigt.


    Die ersten beiden Texte sind von Gottfried August Bürger (der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyann) und Christian Fürchtegott Gellert (das Kutschpferd). Ich kann sie hier leider nicht vollumfänglich zitieren, da die Shownotes auf 4000 Zeichen begrenzt sind.

    Dafür aber im Folgenden die anderen beiden Texte in ganzer Länge:


    Theodor Fontane

    Berliner Republikaner (um 1841)
         Berliner Jungen scharten sich
    Vor einiger Zeit allabendlich
    Nicht weit vom Kupfergraben
    Und sangen gottserbärmlich:

    „Wir brauchen keenen Kenig nich,

    Wir wollen keenen haben!“
         Da endlich packt ein Fußgendarm
    Nicht eben allzuzart am Arm
    Den allergrößten Jungen,

    Und spricht: „He, Bursch, juckt dir das Fell,

    Du Tausendsapperments-Rebell?
    Was hast du da gesungen?“
         Doch der Berliner comme il faut
    Erwidert: „Hab Er sich nicht so,

    Und laß Er sich begraben;

    Wozu denn gleich so ängstiglich,
    Wir brauchen keenen Kenig nich,
    Weil wir schon eenen haben!“


    Günter Grass

    Was gesagt werden muss (2012)

    Warum schweige ich, verschweige zu lange,
    was offensichtlich ist und in Planspielen
    geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
    wir allenfalls Fußnoten sind.

    Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
    der das von einem Maulhelden unterjochte
    und zum organisierten Jubel gelenkte
    iranische Volk auslöschen könnte,
    weil in dessen Machtbereich der Bau
    einer Atombombe vermutet wird.
    Doch warum untersage ich mir,
    jenes andere Land beim Namen zu nennen,
    in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
    ein wachsend nukleares Potential verfügbar
    aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
    zugänglich ist?
    Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
    dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
    empfinde ich als belastende Lüge
    und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
    sobald er mißachtet wird;
    das Verdikt "Antisemitismus" ist geläufig.
    Jetzt aber, weil aus meinem Land,
    das von ureigenen Verbrechen,
    die ohne Vergleich sind,
    Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
    wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
    mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
    ein weiteres U-Boot nach Israel
    geliefert werden soll, dessen Spezialität
    darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
    dorthin lenken zu können, wo die Existenz
    einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
    doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
    sage ich, was gesagt werden muß.
    Warum aber schwieg ich bislang?
    Weil ich meinte, meine Herkunft,
    die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
    verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
    dem Land Israel, dem ich verbunden bin
    und bleiben will, zuzumuten.
    Warum sage ich jetzt erst,
    gealtert und mit letzter Tinte:
    Die Atommacht Israel gefährdet
    den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
    Weil gesagt werden muß,
    was schon morgen zu spät sein könnte;
    auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
    Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
    das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
    durch keine der üblichen Ausreden
    zu tilgen wäre.
    Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
    weil ich der Heuchelei des Westens
    überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
    es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
    den Verursacher der erkennbaren Gefahr
    zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
    gleichfalls darauf bestehen,
    daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
    des israelischen atomaren Potentials
    und der iranischen Atomanlagen
    durch eine internationale Instanz
    von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.
    Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
    mehr noch, allen Menschen, die in dieser
    vom Wahn okkupierten Region
    dicht bei dicht verfeindet leben
    und letztlich auch uns zu helfen.

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    48 m